Früher und auch heute noch nannte man die Kissinger Gabele. Darüber gab es unter den jungen Burschen von Kissing und denen der Nachbardörfer häufig Streit und Schlägereien, namentlich bei Jahrmärkten und Tanzmusik. Die anderen brauchten den Kissingern nur zwei auseinandergespreizte Finger, das "Gäbele", entgegenzuhalten, da gerieten die schon in Harnisch.
Es soll mit diesem Spitznamen folgende Bewandtnis haben: Zwei Kissinger unternahmen eine Wallfahrt nach Rom. Ihre Gabelstecken, lange Stöcke, am oberen Ende gegabelt, dass man den Daumen einlegen konnte, hatten sie als unzertrennliche Reisebegleiter stets bei sich. So durchwanderten sie die Ewige Stadt kreuz und quer, um zu Hause recht viel davon erzählen zu können. Im Gedränge verloren sie sich und einer suchte den anderen. Gerne hätte er jemand gefragt, ob er nicht seinen Landsmann hätte laufen sehen. Schließlich kam er auf die Tiberbrücke, wo ihm ein Bettler die Hand entgegenstreckte. Der gutherzige Kissinger gab ihm ein Almosen und fragte ihn nach echt Kissinger Art, weil er eben nicht Italienisch konnte: "Du, hosch koan loffa secha mit aaran Gäbeleschtecka?" Der Befragte sah ihn verständnislos an. Der Kissinger fragte wieder und wieder und immer zorniger. Der Römer wusste nichts zu antworten. Erzürnt suchte der Pilgersmann aus Kissing weiter. Erst am späten Abend fanden sich die zwei Landsleute in der Herberge wieder und erzählten sich von ihren Irrwegen. Dabei schimpfte der eine voller Ärger, dass der dumme Italiener an der Brücke nicht einmal wusste, was ein "Gäbeleschtecka" ist. Jeder Kissinger habe doch einen. Wieder daheim erzählten sie dann überall ihre Reiseerlebnisse und auch von dem dummen Italiener, der nicht einmal den Kissinger Gäbelestecka kannte. Da hatten nun die Leute in den Nachbardörfern was zu lachen und zu hänseln. Die späteren Kissinger nahmen das sehr krumm.
| Karl Christl und Franz Xaver Riedl, Sagen und Erzählungen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg, Aichach 1988 | |
| Verfasser bzw. Erfasser | Karl Christl und Franz Xaver Riedl |
| Bezug | Kissing |
| kurze Inhaltsbeschreibung | Geschichte zur Entstehung des Spitznamens "Kissinger Gäbele" |
Gemeinde: Kissing
86438 Kissing