Es muss doch kein rechter Schneider gewesen sein, weil er mehr als sieben Pfund wog und mehr darf er doch nicht haben, sonst ist er nicht gesund. Nein, er war auch kein rechter Schneider! Es saß nicht mit verschränkten Beinen auf seiner Hölle und sein schöner Spitzbart, der vom ewigen Streicheln etwas gegen die Brust des Nachbarn drohte, als wollte und sollte er stechen, konnte das doch nicht tun, weil sein Herr, der Schneider, immer mit hängendem Kopf durch die Straße trollte. Und eines Tages ging der Schneider hin und erhängte sich im tiefen Wald. Vielleicht war er doch ein rechter Schneider; denn weil er sich erhängt hat, muss er doch wohl ein Rädlein zu viel gehabt haben und damals, in der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, sollten ja die Schneider noch so ein bisschen übergeschnappt gewesen sein. Das gehörte so zum rechten Schneider.
Aber das ist ja gleich! Er war von Edenhausen und im nahen Wald, im Edenhausener Forst, ging es seitdem um. "Der Schneider geistert!" sagten die Leute. Zur Nachtzeit war es im tiefen Wald nicht geheuer.
Da waren einmal drei Aindlinger auf einer Hochzeit in Thierhaupten. Lustig ging es dort her, gegessen wurde tüchtig, und was man beim besten Willen nicht mehr zwang, wurde in das große "gesteckelte" Taschentuch gewickelt. Und getanzt wurde! In kleinen Bächlein rann der Schweiß von der Stirn und tropfte dann vom kühn gezwirbelten Schnurrbart. Da musste man doch trinken, vielleicht sogar etwas mehr, als man vertrug.
Und die Zeit verging wie im Flug! Tiefe Nacht war es schon, der ganze Himmel war mit Sternen übersät, als unsere drei Aindlinger sich auf den Weg machten. Leicht waren ihre Füße ja nicht zu bewegen, gleichen Schritt zu halten. Ihr Gang war nicht ganz schön, das wussten sie selbst; aber ihr Gesang war wunderbar. Und wie das hallte, als sie gegen den Wald kamen!
Plötzlich mahnte der eine die Drei zur Ruhe. Die Geschichte mit dem Schneider war ihm eingefallen. Eine Ganshaut lief jedem bei dem Satz über den Rücken. Aus war es mit der Freude. "Aber schließlich, und zum Teufel, wir sind doch gut gewachsene Mannsbilder! Wozu und vor wem haben wir Angst?" schnarrte da der Erste.
Und die anderen beiden gaben ihm recht und spannten ihre Muskeln und fassten ihr Tüchlein mit dem kalten Braten fester. "Heute fürchten wir den Schneider nicht", war ihrer aller Meinung. Aber die Lust zum Singen war doch vorbei. Still, mit hängendem Kopf trotteten sie einer hinter dem andern dem großen Forste zu. Plötzlich vermeinte der Letzte hinter sich Schritte zu hören. Es war gerade bei den ersten Bäumen, als sie das unheimliche Dunkel des Waldes umfing und die Nacht noch schwärzer wurde. "Der Schneider!" durchzuckte es ihn und mit ein paar Riesenschritten hatte er sich an die Spitze gesetzt. Mächtig zog er an. Die andern folgten. Das Tempo wurde schärfer. Der nun aber am Ende ging, machte bald die gleiche schaurige Entdeckung: "Hinter mir ist der Schneider! Ich spüre seinen eisigen Schnaufer im Genick!" Und mit Riesenschritten überholte er nun seinerseits die beiden Freunde. Dem dritten, der nun den Schluss bildete, ging es natürlich nicht anders, nur dass er, bevor er zum großen Rennen ansetzte, schnell einen Blick nach rückwärts warf.
"Der Spitzbart, die kleinen, schmalen Augen, der kecke Zylinderhut und der lange Frack, die langen dürren Arme und die enge Hose, die unten wie eine Ziehharmonika auslief, alles habe ich mit dem einen Blick erhascht. Niemand anderer als der Schneider von Edenhausen ist es gewesen!" berichtete er später den anderen beiden, die sowieso nie daran gezweifelt hatten, dass der Schneider ihr Weggenosse war.
Wenn doch bloß der Wald ein Ende nähme! Endlos, endlos zog sich der schmale Streifen durch das schaurige Dunkel, über dem die Sterne funkelten. Und jeder horchte, bevor er wieder zum Spurt ansetzte um zu überholen, ob hinter ihm nicht die Knochen klappern und er hätte wohl keinen Muckser tun können, wenn ihn die kalte Faust gewürgt hätte. Beim Tanzen hatten sie wohl arg geschwitzt, aber das war eine Kleinigkeit gewesen gegen das Schwitzen jetzt. Und doch fror es sie alle drei vor Angst. Endlich war der Wald zu Ende. Im selben Augenblick aber war auch der Schneider verschwunden. Ganz allmählich wurden die Schritte langsamer und als der erste mit dem Rockärmel sich die tropfnasse Stirn trocknete, den Hut ins Genick schob und mit dem Finger zwischen Hals und durchweichten Kragen fuhr, blieben endlich alle stehen, als ob dass das verabredete Zeichen wäre. Hörbar blies der Zweite mit vorgeschobener Unterlippe den Dampf von sich und der Dritte zog die lederne Hose vom Bauch, an den sie wie angeklebt war.
"Jetzt des, ha sowas!" waren die ersten Worte, aus denen aber bald ein Streit geworden wäre, weil einer den andern bezichtigte, nicht die erlösende Frage getan zu haben, weil einer den andern Feigling hieß, wo doch einer der gleiche wie der andere war.
| Karl Christl und Franz Xaver Riedl: Sagen und Erzählungen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg, Aichach 1988 | |
| kurze Inhaltsbeschreibung | Die Geschichte berichtet von drei Aindlingern, die auf dem Heimweg von einer Hochzeit in Thierhaupten eine unheimliche Erscheiung hatten. |
| Verfasser bzw. Erfasser | Karl Christl und Franz Xaver Riedl |
Gemeinde: Aindling
86447 Aindling