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Der versetzte Grenzstein

Der Wimmerbauer in Unterbergen besaß neben dem Holz des Pfarrers ein kleines Wäldchen. Jahr für Jahr aber fuhr er von dort mehr Bäume heim, als überhaupt darin wuchsen.
Manchem aufmerksamen Beobachter fiel es im Dorfe auf. Man tuschelte und munkelte so allerhand. Doch keiner getraute sich dem Wimmerbauern offen am Zeug zu flicken. Der Wimmerbauer war ein frommer Mensch und war deshalb sogar zum Kirchenpfleger ernannt worden.
Eines schönen Tages schritten die Unterbergen Mannsbilder mit ihrem Dorfvorsteher gemeinsam die Fluren ab und kamen auch auf ihrem Weg zum Holz des Pfarrherrn. Man staunte, man stutzte, man wunderte sich: "Wo ist denn an Pfarrer sei Grenzstoa? Ja, wo is jetz der?" Die Männer suchten rum, steckten die Nas'n ins Gras, konnten aber den Grenzstein, der den Wald des Pfarrherrn von dem des Wimmerbauern abgrenzte, nirgends finden. Ein kleiner Bauer wagte es endlich, den schon lange gehegten Verdacht auszusprechen: "Des druckt mich scho lang. Drum sag ich's jetz oafach. Der Wimmerbauer hat den Grenzstoa versetzt, zu sei'm Gunst'n." Jetzt war's heraußen. Und auch die anderen Bauern fielen über ihn her. Der Grenzsteinsünder konnte nicht mehr anders. Reumütig fiel er auf die Knie und bekannte zitternd seine Schuld. Schon hoben die Bauern die Hand, um den Frevler zu bestrafen. Auf die Fürbitte des Pfarrherrn ließen sie Gnade vor Recht ergehen. Es dauerte nicht lange, da traf ihn auch so die Strafe für sein schändliches Treiben. Eines Tages lag er tot im Bett. Und das Volke sagte: "Der Teifi hat eahm an Hals umdraht."
In den folgenden Jahren ging nun am Tag der schlechten Tat der Wimmerbauer mit Spaten und Hacke um und suchte den Grenzstein. Die arme Seele irrte durch den Forst nach Unterbergen und jammerte: "Ich find ihn nicht. Ich find ihn nicht." Niemand getraute sich bald mehr durch den Wald. Einmal verirrte sich ein braves Hirtenbüblein dort im Forst und lief zu mitternächtlicher Stunde an der Stelle des Frevels vorbei. Mit Schaudern entdeckte es die grabende und jammernde Gestalt. Vor Schreck konnte sich der Bub nicht mehr von der Stell rühren. "Was mach ich bloß?" dachte er ganz verzagt. Plötzlich - beinahe wäre er vor Schreck umgefallen - erschien wie aus dem Boden gewachsen eine zweite Gestalt. Das Hirtenbüblein erstarrte und drückte sich ganz fest an den Baumstamm. Die schwarze Gestalt mit den langen Haaren begann zu wachsen, wurde größer und größer, wurde riesengroß und war bald kirchturmhoch. Das Büblein kauerte sich hinter dem Baum auf den Boden und zitterte an Händen und Füßen. Jetzt hob der Riese seinen Arm, schleuderte den gesuchten Grenzstein auf den verfluchten Wimmerbauern und rief mit donnernder Stimme: "Da hast du ihn!" Der Fels traf den Grenzsteinfrevler mit voller Wucht mitten auf die Stirn. Mit einem Wehlaut brach er zusammen und versank mit dem Stein in der Tiefe des Waldbodens.
Von dem riesenhaften Gespenst aber hat man von Stund an keine Spur mehr gesehen.

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Eigenschaften

Karl Christl und Franz Xaver Riedl: Sagen und Erzählungen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg, Aichach 1988
Anmerkung
Entstehung
Verfasser bzw. ErfasserKarl Christl und Franz Xaver Riedl
Bezug
kurze Inhaltsbeschreibung
Entstehungszeit

Gemeinde & Adresse

Gemeinde: Schmiechen


Unterbergen

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